Mal sind sie Isolator, mal leiten sie hervorragend elektrischen Strom. Was dabei auf atomarer Ebene geschieht, untersuchen Physiker aus Würzburg, Bayreuth und Südafrika in einem neuen gemeinsamen Projekt.
Ein zentrales Kupferatom umgeben von vier organischen Molekülen: Wie ein Kleeblatt muss man sich die Kristallbausteine vorstellen, mit denen Professor Jens Pflaum arbeitet.
Der Physiker forscht am Lehrstuhl für Experimentelle Physik VI der Universität Würzburg.
Gemeinsam mit Kollegen der Universitäten Bayreuth und Stellenbosch in Südafrika will er in den kommenden Jahren untersuchen, wie die Kristalle zu ihren überraschenden Eigenschaften kommen und wie schnell diese Schaltvorgänge ablaufen.
Die Deutsche Forschungsgemeinschaft fördert das Projekt.
Forschung an organischen Halbleitern
"Die untersuchten Kristalle gehören zu der Klasse der eindimensionalen organischen Metalle", sagt Jens Pflaum. Das bedeutet: Bei Raumtemperatur verhalten sie sich in einer Richtung metallisch und leiten Strom. In den Richtungen senkrecht dazu zeigen sie hingegen die Eigenschaften eines Isolators. Noch erstaunlicher wird ihr Verhalten, wenn man sie tiefen Temperaturen aussetzt: "Bei minus 210 Grad Celsius wird aus dem Metall ein Isolator. Und nochmals 30 Grad Celsius tiefer dreht sich der Prozess erneut um. Dann wird aus dem Isolator wieder ein Metall", erklärt Jens Pflaum. Von "Re-Entry" sprechen die Physiker in letzterem Fall. Fast so gut wie ein Kupferdraht leiten die organischen Kristalle mit dem Namen "Kupfer-DCNQI" dann den Strom, obwohl der Elektronentransport nicht über die Kupferatome stattfindet, sondern über die organischen Moleküle.
Und noch eine Besonderheit macht den organischen Kristall für die Physiker so interessant: Bestrahlt man den tiefgekühlten Isolator mit einem Lichtblitz, schaltet er "sofort" in den metallischen Zustand um und verbleibt in diesem für eine längere Zeit. "Die Tatsache, dass man den Isolator-Metall Übergang optisch sehr schnell schalten kann, zeichnet die organischen Metalle gegenüber anderen, nicht-organischen Verbindungen aus", betont Jens Pflaum. Wie das Schalten funktioniert, was die Moleküle dabei machen, welche Veränderungen es in der Kristallstruktur gibt und insbesondere wie schnell diese Vorgänge ablaufen, all dies wollen die Physiker aus Würzburg, Bayreuth und Stellenbosch in dem Projekt aufklären - in der Würzburger Arbeitsgruppe der Doktorand Florian Hüwe und der Masterstudent Matthias Schmiddunser.
Komplizierte Herstellung
Damit der Wechsel vom "Metall" zum "Isolator" funktioniert, müssen sich die Moleküle in einer bestimmten Struktur im Kristall anordnen: Wie in einem extrem dünnen, langen Draht reiht sich dann ein Molekül hinter das andere (siehe Abbildung). Die Grundsubstanz synthetisieren Chemiker der Universität Bayreuth in Pulverform; am Physikalischen Institut der Universität Würzburg kristallisieren Jens Pflaum und seine Mitarbeiter daraus Einkristalle. Mehrere Wochen dauert es, bis ein wenige Zentimeter langer und zehntel Millimeter dicker Einkristall gewachsen ist, der in Form und Größe einem Haar ähnelt. Wochen, in denen tunlichst keine Erschütterung und kein Stromausfall das Wachstum stören dürfen. Aber die Mühe lohnt sich, das Würzburger Team ist bei der Zucht solcher "organischen Einkristalle" international in der Spitzengruppe dabei.
Anschließend reisen die Kristallnadeln nach Südafrika, wo an der Universität Stellenbosch ein ehemaliger Würzburger Physiker mit seinen Mitarbeitern aus Europa und Afrika ein inzwischen international renommiertes Laser-Forschungslabor aufgebaut hat: Professor Heinrich Schwoerer kennt sich mit einer Technik besonders gut aus, dem Femtosekundenlaser. Mit dieser hoch entwickelten optischen Technik wollen die Forscher im wahrsten Sinne des Wortes Licht ins Dunkel der Vorgänge innerhalb der organischen Kristallstrukturen bringen.
Was beim Übergang vom Metall zum Isolator bei minus 210 Grad geschieht, ist bekannt. "Die Moleküle verschieben sich paarweise. Halten sie vorher identische Abstände zu ihren Nachbarmolekülen ein, gruppieren sich jetzt immer zwei Moleküle enger zusammen", erklärt Jens Pflaum. Über die Dynamik der Vorgänge beim Schalten mit Licht sowie beim "Re-Entry" Übergang gibt es bislang jedoch nur Theorien und Spekulationen. Das soll sich mit Hilfe des ultra-schnellen Laserlichts ändern. "Wir können damit das Geschehen auf extrem kurzen Zeiten darstellen", sagen die Physiker, "diese Zeiten sind etwa so kurz wie die Schwingungszeiten der Atome in den Molekülen".
Untersuchung mit dem Femtosekundenlaser
Femtosekundenlaser senden Lichtpulse aus, die unvorstellbar kurze 10-15 Sekunden dauern. Zur Verdeutlichung: Licht - mit einer Geschwindigkeit von 300.000 Kilometer pro Sekunde - legt in der Zeit von 100 Femtosekunden eine Strecke von 30 µm zurück, also etwa den Durchmesser eines menschlichen Haares. In Stellenbosch wird der Laser mit einem Lichtblitz gleich zwei Aufgaben erfüllen: Zum einen schaltet er das Material optisch um - vom Isolator zum Metall. Zum anderen trifft er zuvor auf eine dünne Metallfolie und setzt dabei Elektronen frei. Dieser Elektronenpuls trifft kurz nach dem Lichtpuls ebenfalls auf die Kristallprobe und wird an den Atomen gebeugt. Aus den Streuwinkeln der Elektronen können die Physiker dann einen Schnappschuss von der momentanen Anordnung der Atome im Kristallgitter gewinnen - mit einer Zeitauflösung von derzeit etwa 300 Femtosekunden.
Nun würde ein einziges Bild noch nicht allzu viel darüber verraten, was in dem organischen Kristall beim Schalten passiert. Deshalb variieren die Laserexperten in ihren Experimenten die Zeitspanne, die zwischen dem Eintreffen des Lichtpulses und des Elektronenpuls vergeht, in extrem kurzen Schritten. Die vielen Einzelbilder, die sie so erhalten, ergeben zusammengesetzt eine Art Film, der die Bewegung der Atome und der Elektronen während des Umschaltens vom Isolator zum Metall genau wiedergeben soll. "Wenn das funktioniert, wäre es das erste Mal, dass man den Übergang mit dieser hohen Zeitauflösung nachweisen und seinen Mechanismus auf atomarer Skala aufklären kann", hoffen Pflaum und seine Kollegen.
Reine Grundlagenforschung
Grundlagenforschung ist das Projekt des deutsch-südafrikanischen Teams; eine konkrete Anwendung steht zunächst nicht im Mittelpunkt der Arbeiten. Allerdings hat der "optische Schalter" einen großen Vorteil im Vergleich zu Techniken, die mit Hilfe einer Druck- oder Temperaturveränderung den Wechsel vom Isolator zum Metall hervorrufen: Er funktioniert sehr viel schneller. Für welche Anwendung sich das zukünftig nutzen lässt, ist derzeit offen. Ein superschneller Foto-Detektor, ein rasanter Chip für Kameras: Nach Jens Pflaums Worten aktuell "noch" reine Gedankenspiele.
Zusatzinformationen:
Quelle: Julius-Maximilians-Universität, Würzburg
Aktualisiert am 26.06.2012.
Permalink: https://www.internetchemie.info/news/2012/jun12/organische-metalle-forschung.php
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