Physiker konnten beobachten, wie sich ein Elektron in zwei voneinander getrennte Teile aufspaltet, die jeweils eine bestimmte Eigenschaft des Elektrons tragen:
Das sogenannte 'Spinon' trägt dann den Spin des Elektrons, also seine Eigenrotation. Das 'Orbiton' ist der Träger des orbitalen Moments - der Bewegung um den Atomkern.
Diese neu hergestellten Teilchen können das Material, in dem sie erzeugt wurden, aber nicht verlassen.
Diese in der Fachzeitschrift Nature veröffentlichten Ergebnisse [siehe unten] stammen von einer internationalen Forschungsgruppe unter der Führung von Experimentalphysikern des schweizerischen Paul Scherrer Instituts und von theoretischen Physikern am IFW Dresden.
Alle Elektronen besitzen eine als Spin bezeichnete Eigenschaft: Man kann sich die Elektronenspins als winzige atomare Magnete vorstellen, die den Magnetismus der Stoffe und Materialien erzeugen. Gleichzeitig bewegen sich die Elektronen auf bestimmten Bahnen, den sogenannten 'Orbitalen', um den Atomkern. In der Regel gehören diese beiden quantenphysikalischen Eigenschaften (Spin und Orbitalmoment von der Bahnbewegung) zu einem bestimmten Elektron. Jetzt gelang es in einem am Paul Scherrer Institut durchgeführten Experiment, diese Eigenschaften des Elektrons zu trennen.
Röntgenstrahlung spaltet das Elektron in Spinon und Orbiton
Die Wissenschaftler konnten die Aufspaltung des Elektrons in zwei neue Teilchen bei Messungen am Strontium-Kupferoxid Sr2CuO3 feststellen. In diesem Material ist die Bewegung der Teilchen auf eine Dimension beschränkt; sie können sich nur entlang einer Achse fortbewegen, entweder vor- oder rückwärts. Mithilfe von Röntgenstrahlung konnten die Wissenschaftler einige Elektronen der Kupferatome im Strontium-Kupferoxid Sr2CuO3 auf Orbitale höherer Energie heben, was einer schnelleren Bewegung um den Atomkern entspricht. Nach dieser Anregung durch Röntgenstrahlung spalteten sich die Elektronen in zwei Teile auf. Eines dieser neu erzeugten Teilchen, das Spinon, trägt den Elektronenspin, also die magnetischen Eigenschaften. Das andere Teilchen, das Orbiton, trägt das orbitale Moment, also die Eigenschaft der nun erhöhten Bahnenergie. In dieser Studie konnte man diese beiden fundamentalen Momente des Elektrons erstmals in voneinander getrenntem Zustand beobachten.
Im Experiment richtete man Röntgenlicht der Synchrotron Lichtquelle Schweiz SLS auf das spezielle Kupferoxid und beobachtete, wie sich Energie und Impuls der Röntgenstrahlung bei der Kollision mit der Substanz verändert. Aus der Veränderung lassen sich die Eigenschaften der neu erzeugten Teilchen bestimmen. "Für diese Experimente benötigen wir nicht nur Röntgenlicht mit sehr hoher Intensität und äußerst genau bestimmter Energie, um die gewünschte Wirkung auf die Kupferatome zu erzielen", erklärt Thorsten Schmitt, der Leiter der Experimentatorengruppe, "sondern auch extrem präzise Röntgendetektoren." In dieser Hinsicht ist die SLS am Paul Scherrer Institut zurzeit weltweit führend.
Elektronenspaltung vermutlich in vielen Materialien nachweisbar
"Schon seit einiger Zeit weiß man, dass sich ein Elektron in bestimmten Materialien prinzipiell aufspalten kann", erklärt Jeroen van den Brink, der Leiter der Theoretikergruppe am IFW Dresden, "aber bisher fehlte die empirische Bestätigung dieser Trennung in voneinander unabhängige Spinonen und Orbitonen. Jetzt wissen wir genau, wo wir diese neuen Teilchen suchen müssen, und werden sie in zahlreichen weiteren Materialien finden."
Ergebnisse könnten das Verständnis der Hochtemperatur-Supraleitung unterstützen
Die beobachtete Aufspaltung der Elektronen könnte ausserdem wichtige Schlüsse auf einem anderen Forschungsgebiet ermöglichen, nämlich der Hochtemperatur-Supraleitung. Elektronen verhalten sich in Sr2CuO3 und in Supraleitern auf Kupferbasis ähnlich. Somit eröffnet das Verständnis der Aufspaltung eines Elektrons in dem hier betrachteten Material möglicherweise neue Wege zu einem erweiterten theoretischen Verständnis der Hochtemperatur-Supraleitung.
Über das PSI
Das Paul Scherrer Institut entwickelt, baut und betreibt grosse und komplexe Forschungseinrichtungen und stellt diese der schweizerischen und der internationalen Forschungsgemeinschaft zur Verfügung. Zu den Forschungsschwerpunkten des Instituts zählen die Themen Materie und Material, Mensch und Gesundheit sowie Energie und Umwelt. Das PSI ist mit 1400 Mitarbeitern und einem Jahresbudget von etwa 300 Millionen Schweizer Franken das grösste Forschungszentrum der Schweiz.
Über das IFW Dresden
Das Leibniz-Institut für Festkörper- und Werkstoffforschung Dresden - kurz das IFW Dresden - ist ein nicht universitäres Forschungsinstitut und Mitglied der Leibniz-Gemeinschaft. Dieses Institut beschäftigt sich mit moderner Materialwissenschaft und kombiniert Forschungstätigkeiten in Physik, Chemie und Materialwissenschaften mit der technologischen Entwicklung neuer Materialien und Produkte. Das IFW Dresden beschäftigt rund 400 Mitarbeiter, darunter 190 Wissenschaftler, grösstenteils Physiker, Chemiker und Materialingenieure. Die deutsche Bundesregierung und die sächsische Landesregierung tragen zu gleichen Teilen das Budget von 23 Millionen Euro. Neben der institutionellen Finanzierung erhält das IFW Dresden Projektmittel in Höhe von jährlich fünf Millionen Euro.
Zusatzinformationen:
J. Schlappa, K. Wohlfeld, K. J. Zhou, M. Mourigal, M. W. Haverkort, V. N. Strocov, L. Hozoi, C. Monney, S. Nishimoto, S. Singh, A. Revcolevschi, J.-S. Caux, L. Patthey, H. M. Rønnow, J. van den Brink und T. Schmitt:
Spin-orbital separation in the quasi-one-dimensional Mott insulator Sr2CuO3.
In: Nature; online veröffentlicht am 18. April 2012, DOI 10.1038/nature10974
Quelle: Leibniz-Institut für Festkörper- und Werkstoffforschung, IFW Dresden
Aktualisiert am 19.04.2012.
Permalink: https://www.internetchemie.info/news/2012/apr12/elektron-aufspaltung.php
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